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AutorenbildEric wrigth

Die reform-Konferenz

Los Angeles

Anfang November war ich auf der größten Konferenz zur Reform der Drogenpolitik aller Zeiten. Der Wandel ist greifbar. Eindrücke aus Los Angeles.


Es war schon faszinierend, mal vor Ort zu erleben, was für ein gewaltiger Unterschied zwischen der deutschen und der US-amerikanischen legalize-Bewegung besteht. Was hier noch ein kleines, zartes Pflänzchen ist, hat sich dort zu einer massiven Protestbewegung entwickelt. Auf der Konferenz mit über 1.000 Teilnehmern konnte ich ein Konzentrat davon bewundern und viele, viele Gespräche mit interessanten Leuten führen.

Aber von vorne:

Die Drug Policy Alliance, DPA ist die weltweit größte prohibitionskritische Organisation mit ca. 9 Millionen Dollar Budget und über 40 Mitarbeitern. (Zum Vergleich: Der Deutsche Hanf Verband hat ein Budget von unter 100.000 Euro, eine Vollzeit- und zwei Teilzeitkräfte.)

Die DPA veranstaltet alle zwei Jahre zusammen mit Partnern eine große Konferenz.

Schon seit Jahren spielte ich mit dem Gedanken, mir das mal anzusehen. Dieses Jahr hat es nun geklappt, da meine Reisekosten vom open society institute und dem DHV-Firmensponsoren ROOR weitgehend gedeckt wurden.

Ich bin mit großen Erwartungen zu dieser Konferenz gefahren und wurde nicht enttäuscht. Ich wollte mal das andere Ende der Fahnenstange sehen, wie eine Organisation wie der DHV in der größtmöglichen Ausbaustufe aussehen könnte, wie eine wirklich große und professionell organisierte Drogenpolitik-Reform-Konferenz abläuft und wie sich eine Drogen-Reform-Bewegung in voller Fahrt anfühlt. Und ich wollte mir natürlich vor Ort einen Eindruck von den medical-marijuana-dispensaries verschaffen. Auch das war gerade jetzt besonders spannend, wo die US-Bundesregierung gerade erst angekündigt hatte, diese Shops schließen zu wollen. Aber darüber werde ich nochmal gesondert berichten

Zunächst mal musste ich aber eine gewaltige Anreise über mich ergehen lassen. Ich war 21 Stunden unterwegs und hatte 9 Stunden Zeitunterschied zu verdauen. Die USA hatten in der Vergangenheit schon manchem, der im Internet im Zusammenhang mit Drogen auftaucht, die Einreise verweigert, da hatte ich ein wenig Bedenken. Bei der Einreise in die USA wurde ich gefragt: “Was machen Sie hier?” – “Ich will hier an einer Konferenz teilnehmen.” – “Was für eine Konferenz?” “Eine Drogenpolitik-Reform-Konferenz.” – “Was haben Sie damit zu tun, was ist Ihr Beruf?” “Äh, ich bin eine Art Aktivist, beschäftige mich schon seit 15 Jahren mit dem Thema..” – “Ok, Sie können weitergehen.”

Dann das Hotel. Ein wirklich spaciger Ort. Mein sehr gepflegtes Zimmer im 21. Stock erreichte ich über einen gläsernen Lift, der an der Außenwand des Hotels auf- und abfuhr.

Westin Bonaventure Hotel Los Angeles

Fahrstuhl am Hotel

Jeder Gang auf´s Zimmer beamte mich durch die Scyline von Los Angeles.

Hotel Fahrstuhl Aussicht 1

Hotel Fahrstuhl Aussicht 2

Die Anmeldung zur Konferenz wurde am Nachmittag des nächsten Tages eröffnet. Die erste große logistische Aufgabe, die Anmeldung von ca. 1.200 Teilnehmern zu organisieren, davon 200 aus dem Ausland. Schon im Foyer vor der Anmeldung braute sich eine enorme Energie zusammen.

Viele Leute, die da waren, um sich mit vielen Leuten über ihre Organisationen, Projekte und Fortschritte zu unterhalten. Auch ich hatte bis dahin schon zig Gespräche geführt. Das ging dort erstaunlich einfach, weil die Amerikaner wesentlich offener sind. Oft begannen Gespräche schon im Fahrstuhl und wurden im Foyer oder in der Bar weitergeführt.

Und dann kam die opening-Veranstaltung. In Deutschland kannte ich drogenpolitische Versammlungen dieser Art in einer Größenordnung von meist 10 bis 20 Vereinsmitgliedern oder auch mal 100 oder 200 Teilnehmer bei einem Kongresses von akzept e.V. Hier wurde nun ein Saal mit über 1.000 Menschen gefüllt.

Saal opening

Und wir bekamen ein perfektes Bühnenprogramm geliefert. Ethan Nadelmann, der Chef der DPA und ein begnadeter Redner, führte als Moderator durch diese Rahmenveranstaltungen. Hier seine Eröffnungsrede:


Und er fuhr einige tolle Redner auf. Besonders beeindruckend war die Rede der Vertreterin der größten Schwarzen-Organisation in den USA, die sich den Forderungen nach einer Wende in der Drogenpolitik neuerdings angeschlossen hat.


Das war das beste Beispiel dafür, wie weit die Reformbewegung in den USA mittlerweile in verschiedene Gesellschaftsschichten vorgedrungen ist.

Überhaupt waren auf der Konferenz viele Schwarze vertreten. Das liegt sicher zum Teil auch daran, dass sie in besonderer Weise von den immer noch harschen Drogengesetzen in den USA betroffen sind. Sie werden angesichts der Konsumentenzahlen und ihrem Anteil an der Bevölkerung deutlich öfter Ziel von Kontrollen und ihr Anteil den astronomisch vielen Gefängnisinsassen in den USA ist vor allem deshalb hoch.

Jedenfalls waren die Leute nach dieser amerikanischen Show am Ende mit vielen Standing Ovations gut eingestimmt und aufgeputscht für die kommenden Tage mit dichtem Programm an Workshops und Sessions. Die Vielfalt an Themen war umwerfend und die meisten von ca. vier gleichzeitig stattfindenden Workshops waren mit über hundert Leuten gut besucht.

session / workshop

Mehrere Sessions befassten sich z.B. mit medical marijuana, unter anderem mit der Fragestellung, wie die aufkommende und gut verdienende medical marijuana Industrie die drogenpolitische Debatte beeinflusst. Es gab praktische Workshops zu Aktivitäten vor Ort, zur Finanzierung derselben oder zum Umgang mit der Presse. Es gab exotische Workshops wie “Can Hip Hop Help End the Drug War?” Auch Studien und Diskussionen über psychedelische Drogen waren mehrfach vertreten. Hier könnt ihr euch das komplette Programm ansehen.

Ich selbst war auf dem Podium vertreten beim Thema “The Portuguese Decriminalization Model in the European Context”. Viel bin ich nicht zu Wort gekommen, da sich die Fragen des Publikums mehr um das portugiesische Modell als um den europäischen Kontext drehten. Ich habe aber auf einige Dinge hingewiesen. Erstens, dass es noch einige andere Beispiele in Europa gibt, die Hoffnung machen und als Vorlage taugen, z.B. die Entkriminalisierung in Tschechien, die Cannabis Social Clubs in Belgien und vor allem in Spanien. Zweitens, dass es nicht nur auf die Regelung, z.B. zu “erlaubten Drogenmengen” ankommt, sondern auch darauf, wie die Polizei vor Ort mit diesen Regeln umgeht. Außerdem müssen die “geringen Drogenmengen” realistisch angesetzt werden. Sie sind – auch in Portugal – zum Teil noch so niedrig, dass am Ende doch wieder jede Menge einfache Konsumenten darüber liegen. Drittens, dass vor allem die Reform in den USA eine wichtige Rolle für die weltweite Drogenpolitik spielt, denn erst wenn es im mächtigen Mutterland der Prohibition ernsthafte Änderungen gibt, wird das Raum geben für andere Länder, die neue Wege ausprobieren wollen. Viertens habe ich gesagt, dass es nicht selbstverständlich ist, dass es immer nur vorwärts geht. In der Schweiz gab es vor einigen Jahren noch jede Menge Shops, die offen Gras verkauft haben und die offizielle Legalisierung stand kurz bevor. Doch dann wurde das Rad wieder zurück gedreht. Es geht also nicht nur darum, weiter für den Fortschritt zu kämpfen, sondern auch das einmal erreichte zu verteidigen, z.B. die Medical Dispensaries in Kalifornien. Von dieser Session scheint es keine Video-Aufzeichnung zu geben.

Zwischendurch gab es dann immer mal wieder Ansprachen im großen Saal für alle. Hier könnt ihr euch ausgesuchte Beiträge ansehen.

Z.B. den von Neill Franklin, Polizist und neuer Sprecher der Organisation LEAP, “Law Enforcement Against Prohibition”. Oder den von Aaron Houston, Executive Director, Students for Sensible Drug Policy:


Sehr positiv bei allen Workshops und Veranstaltungen ist mir aufgefallen, dass alles perfekt organisiert war. Die Veranstaltungen begannen und endeten pünktlich und waren professionell moderiert mit viel Publikumsbeteiligung.

Und dann war da noch der Raum mit den Info-Ständen, wo bestimmt mehr als 20 Organisationen über ihre Arbeit informierten, darunter z.B. LEAP, students for sensible drug policy, Marijuana Policy Project, NORML, MAPS (psychedelic studies), EROWID (online-info-Portal zu Drogen), um nur einige zu nennen. So war ich also vor allem damit beschäftigt zu “netzwerken”, mit tausend Leuten zu reden.

Info-Raum

Insgesamt gibt es in den USA bestimmt über 100 Leute, deren bezahlter Job es im Wesentlichen ist, für eine liberalere Drogenpolitik zu kämpfen. In Deutschland gibt es sowas nur beim DHV. Das war dort also auch mein erstes Job-meeting mit Kollegen außerhalb unseres eigenen Büros, ein wirklich umwerfendes und inspirierendes Erlebnis.

Auch diverse Kontakte zu Medical-Marijiuana-Patienten waren sehr interessant. Ich habe z.B. viel Zeit verbracht mit Tonya Davis von der Ohio NORML Women´s Alliance, die im Rollstuhl sitzt und wegen diverser Krankheiten auf Cannabis angewiesen ist.

Tonya Davis

Oder Elvi Musikka, eine lustige alte Dame, die fast blind ist und seit Jahrzehnten von der US-Bundesregierung Marijuana-Zigaretten bekommt. Sie war die erste Frau in diesem auf wenige Leute begrenzten Versuchsprogramm. Sie hat jedem begeistert erzählt, dass sie durch das Gras-Rauchen mittlerweile auf ihrem völlig erblindeten Auge wieder etwas sehen kann, ein Wunder für die Ärzte. “Ich bin über 70 und meine Augen werden besser, wer kann das schon von sich behaupten. Thank marijuana!” Hier habe ich ein Video über ihren Fall gefunden.


Zum Schluss noch zwei Videos vom Closing Plenary. Das erste von Rick Steves, einem bekannten Reisebuch-Autor:


Sehr ergreifend war die Rede von Marilyn Howell, die darüber spricht, wie Ecstasy als psychedelische Therapie ihrer sterbenden Tochter geholfen hat:


Das gesamte Closing Plenary könnt ihr euch hier am Stück ansehen.

Danach gab es als Abendveranstaltung noch Preisverleihungen, um Menschen zu ehren, die in diversen Feldern der Drogenpolitik-Reform besonderes geleistet haben. Auch das könnt ihr euch hier ansehen.

Auf dem Heimweg habe ich noch einen Zwischenstopp in New York gemacht für ein Treffen mit Ethan Nadelmann.

Manhattan Scyline

Rauchen ist im gesamten Central Park verboten

... und das Rauchverbot wird dank massiver Polizeipräsenz in lustigen Gefährten auch eingehalten

Nun habe ich bei Weitem nicht alles erzählt, aber der Text ist vermutlich eh schon viel zu lang. 🙂

Mein Fazit: In Deutschland ist noch viel Wachstum der Drogenpolitik-Reform-Bewegung möglich und nötig, get involved!

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