Auf eine weitere kleine Anfrage der LINKEN-Fraktion im Bundestag reagiert die Bundesregierung hilflos. Sie kann keinerlei Studie oder Nachweis anführen, dass das Cannabisverbot den Konsum der Deutschen verringert.
Hier geht es um eines der wichtigsten Argumente in der Cannabisdebatte. Dass das Verbot jede Menge negative Begleiterscheinungen mit sich bringt, ist kaum umstritten. Das offiziell einzige Ziel der Prohibition ist es, den Konsum der Bevölkerung zu verringern und sie somit vor den Gefahren des Cannabiskonsums, die es zumindest für einen relativ kleinen Teil der Konsumenten sicher gibt, zu schützen. Dies wäre damit auch das einzige Argument auf der Plusseite der Verbotsstrategie, neben all den negativen Effekten.
Deshalb halte ich diese Frage für sehr zentral. Denn Politiker von CDU, SPD und FDP fegen regelmäßig alle anderen Argumente beiseite. Die Repression ist sehr teuer? Wir fördern damit organisierte Kriminalität? Durch den Schwarzmarkt wird die Gesundheit der Konsumenten durch Streckmittel gefährdet? Wir greifen in die Grundrechte der Menschen ein und nerven jedes Jahr 100.000 einfache Konsumenten mit Strafverfahren? — JA, das stimmt alles, ABER das müssen wir in Kauf nehmen, weil Cannabis gefährlich ist und wir den Konsum durch das Verbot senken.
Dumm nur, dass das vor allem bei Cannabis gar nicht der Fall ist. Es wird zwar weniger Cannabis als Alkohol konsumiert; das liegt aber eher daran, dass die Wirkung von Hanfblüten nicht jedem zusagt. Die Repression spielt da kaum eine Rolle, wie eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ergeben hat. In den Niederlanden wird nicht mehr gekifft als in Deutschland, obwohl dort jeder Erwachsene einfach in ein Geschäft gehen und Cannabis kaufen kann. Als die Legalisierungsdiskussion des Schweizer Nationalrats Ende der 90er Jahre ins Rollen kam, hat man sich dort die Mühe gemacht, nach wissenschaftlichen Fakten zu suchen. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit der Schweiz kam 1999 zu folgendem Ergebnis:
Die verbreitete Vermutung einer ins Gewicht fallenden generalpräventiven Wirkung der Konsumstrafbarkeit kann nicht nachgewiesen werden und scheint auch wenig plausibel […] Sämtliche empirischen Untersuchungen und statistischen Daten, sowohl im internationalen wie im interkantonalen Quervergleich deuten dementsprechend mit steter Regelmässigkeit darauf hin, dass zwischen der Verbreitung/Häufigkeit des Drogenkonsums und der strafrechtlichen Verfolgungs- und Sanktionierungspraxis kein signifikanter Zusammenhang besteht.
Genau an dieser Stelle haben die Linken im Juni nachgehakt. Diese Anfrage ist auch ansonsten interessant; allein schon deshalb, weil es eigentlich eine Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf eine vorherige kleine Anfrage war. Dass die Bundesregierung Anfragen, gerade zum Thema Cannabis, regelmäßig völlig lapidar beantwortet und damit die Intelligenz der Parlamentarier beleidigt, wird in der Regel hingenommen. In diesem Fall haben die Linken sofort nochmal nachgehakt. Und das gefällt mir natürlich gerade bei dem zentralen Thema “Wirksamkeit des Cannabisverbots” besonders. Die Bundesregierung hatte geschrieben:
“Durch die präventive Wirkung der Strafandrohung wird die Verfügbarkeit und die Verbreitung der Substanz eingeschränkt”
Die Linken zitierten in ihrer Nachfrage die o.g. Schweizer Kommission und fragten nach:
1. Auf welchen empirischen Grundlagen begründet die Bundesregierung ihre These einer Korrelation zwischen Cannabisverbot und Cannabiskonsum? 2. Wie schätzt die Bundesregierung inhaltlich die Ergebnisse der in der Vorbemerkung genannten Untersuchung der “Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit” des Schweizer Nationalrats ein? 3. Auf welche empirischen Daten stützt die Bundesregierung ihre davon abweichende These, dass durch die Strafandrohung “die Verfügbarkeit und die Verbreitung der Substanz eingeschränkt wird?”
Nun erwartet man ja als Bürger, dass Parlament und Regierung teure Gesetze selbst auf ihre Wirksamkeit überprüfen. Spätestens um diese Anfrage vernünftig beantworten zu können, sollte man doch meinen, sollte sich die Bundesregierung diese Sammlung von Studien aus der Schweiz genauer ansehen und diese bewertet. Mit solchen wissenschaftlichen Kleinigkeiten hält sich unsere Bundesregierung aber nicht auf. Hier die spektakuläre Antwort der Bundesregierung:
Vorbemerkung der Bundesregierung: Der von den Fragestellern zitierte “Bericht der Subkommission Drogen” der Schweizer Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates, der unter anderem vorschlägt, den Konsum von Betäubungsmitteln nicht unter Strafe zu stellen, ist der Bundesregierung bekannt. In Deutschland ist der bloße Konsum von Betäubungsmitteln nicht strafbar. Die Bundesregierung vermag den übrigen Empfehlungen des Berichts, soweit sie über die deutsche Rechtslage hinausgehen, nicht zu folgen. In der Schweiz wurde dieser Bericht vom Nationalrat nicht detailliert beraten. Soweit ersichtlich, waren die Vorschläge nicht konsensfähig und haben keinen Eingang in das jüngst revidierte Schweizer Betäubungsmittelrecht gefunden. Antwort zu Frage 1: Die präventive Wirkung der im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) enthaltenen Handlungsverbote zeigt sich jüngst etwa bei der Unterstellung neuer, in harmlos wirkenden Kräutermischungen enthaltener psychoaktiver Substanzen unter das Betäubungsmittelrecht. Dies führte zu einer Einschränkung der Verbreitung bei den jeweiligen Substanzen. Nach einer repräsentativen Befragung von Schülerinnen und Schüler ist der Konsum cannabinoidhaltiger Substanzen nach dem Verbot in 2009 zurückgegangen. Antwort zu Frage 2: Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. Antwort zu Frage 3: Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen.
Alles klar?
Nochmal langsam:
– Die Bundesregierung antwortet nicht auf die klare Frage, wie die Schweizer Untersuchung zu den Auswirkungen des Verbotes auf den Konsum der Bevölkerung zu bewerten ist, sondern äußert sich lediglich zu den politischen Handlungsempfehlungen des Berichtes. Mit anderen Worten: Die Studien, die die Kommission zusammengetragen hat, sind der Bundesregierung vermutlich gar nicht bekannt und sie will sich damit auch nicht beschäftigen.
– Bei der ebenso klaren Frage, woher die Bundesregierung denn sonst die Gewissheit nimmt, dass das Cannabisverbot den Konsum dämpft, weicht die Bundesregierung aus und verweist auf die Entwicklung bei chemisch gepanschten “Kräuterdrogen”. Diese Substanzen haben aber wenig mit Cannabis zu tun und weisen mit dem Verkauf über das Internet und über legale Läden ganz andere Handelsstrukturen auf als Cannabis, das eher im Freundeskreis die Runde macht. Dass der Konsum da nach einem Verbot erstmal zurückgeht, in einer Phase, in der sich diese Märkte neu organisieren, ist nicht verwunderlich. Ob das so bleibt, halte ich für sehr fraglich. Aber auch dann ist das nicht vergleichbar, weil der Cannabiskonsum wesentlich weiter verbreitet ist als Spice & Co. Heroin zu besorgen, mag auch vielen schwer fallen, da hat die Prohibition womöglich eine gewisse Wirkung. Bei den 20-30jährigen liegt die Cannabis-Konsumerfahrung aber sicherlich über 30 Prozent; fast jeder kennt jemanden, der was besorgen kann. Das gilt besonders für junge Leute, die man mit dem Verbot ja angeblich besonders vor dem Konsum schützen will.
Die LINKEN fragen klar nach einer “empirischen Grundlage der These einer Korrelation zwischen Cannabisverbot und Cannabiskonsum” und die Bundesregierung erzählt was über “Kräutermischungen”, anstatt sich mit entsprechenden Untersuchungen zu Cannabis auseinander zu setzen. Wie erbärmlich! Die Bundesregierung hätte auch antworten können: “Weil das ja klar ist.” Das wäre ähnlich kompetent gewesen.
Und ganz nebenbei verschweigt die Bundesregierung auch noch, dass sich die “repräsentative Befragung von Schülerinnen und Schüler” nur auf die Stadt Frankfurt bezieht. Siehe dazu auch Max Plenert in seinem Blog alternative-drogenpolitik.de .
– Fazit: Die Bundesregierung kann keine wissenschaftlichen Grundlagen für ihre These anführen, dass das Cannabisverbot den Konsum spürbar senkt. Weil es keine gibt.
Die LINKEN haben in ihrer Kleinen Anfrage noch weitere interessante Fragen gestellt, z.B. zur unterschiedlichen Behandlung von Alkohol und Cannabis. Das einzige Argument, das die Bundesregierung dazu bringt, ist ein Zitat des Bundesverfassungsgerichtes von 1994:
(…) Alkoholhaltige Substanzen dienen als Lebens- und Genussmittel; in Form von Wein werden sie auch im religiösen Kult verwandt. In allen Fällen dominiert eine Verwendung des Alkohols, die nicht zu Rauschzuständen führt; seine berauschende Wirkung ist allgemein bekannt und wird durch soziale Kontrolle überwiegend vermieden. Demgegenüber steht bei Betäubungsmittelkonsum typischerweise die Erzielung einer berauschenden Wirkung im Vordergrund.”
Sehr beeindruckende Argumentation.
Hier ist die komplette Antwort der Bundesregierung mit den Fragen der Linken zu finden.
Einige weitere Aspekte hat der drogenpolitische Sprecher der LINKEN, Frank Tempel, in folgender Pressemitteilung vom 25.07.11 zusammengefasst:
Die Antworten der Bundesregierung bei der zweiten Kleinen Anfrage zur Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumierenden ist eine weitere bewusste Kompetenzverweigerung Wie bereits bei meiner ersten Kleinen Anfrage zum Thema „Festschreiben der geringen Menge im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) für Cannabisbesitz“ weicht auch bei meiner zweiten Anfrage die Bundesregierung bei ihren Antworten aus und stellt waghalsige Behauptungen auf. So verweigert die Bundesregierung die Herausgabe ihrer empirischen Daten, die angeblich beweisen, dass durch Strafandrohung die Verfügbarkeit und Verbreitung von Cannabis eingeschränkt würde. Zudem spricht sie von einer repräsentativen Umfrage – ohne diese konkret zu benennen – die ebenfalls beweisen soll, dass das Cannabis-Verbot für den Rückgang des Cannabis-Konsums bei Schülerinnen und Schülern verantwortlich sei. Beide Punkte werde ich überprüfen, denn internationale Studien haben ergeben, dass ein Zusammenhang zwischen Verbot und Konsum von illegalisierten Drogen nicht besteht. Ebenso untragbar sind die weiteren Ausführungen der Bundesregierung zu meiner Nachfrage, warum Drogen wie Alkohol und Tabak legal sind, die Droge Cannabis jedoch nicht, auch wenn die Anzahl der Alkohol- und Tabakabhängigen in keinem Verhältnis zum Cannabis-Missbrauch stehen. Die Begründung der Bundesregierung für diese Ungleichbehandlung ist abenteuerlich: Alkohol habe eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten, die nicht zu Rauschzuständen führt. Außerdem sei die berauschende Wirkung allgemein bekannt; durch soziale Kontrolle werde er vermieden. Demgegenüber steht angeblich der Cannabis, der nur zur berauschenden Wirkung eingesetzt werde. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch. Schaut man sich die Geschichte des Cannabis an, kann man feststellen, dass Cannabis bis zu seinem Verbot als Produktionsmittel vielfältige Anwendung fand. Hanf gilt mit 8000 Jahren als eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt. Die erste Levis-Hose war aus Hanf, da dieser Stoff wesentlich robuster ist als Baumwolle. Erst durch das Hanf-Verbot von 1924 auf der Genfer Opiumkonferenz wurde Hanf auch in seiner Funktion als Nutzpflanz geächtet. Hanffaser wurden vor allem bei der Herstellung von Seilen, Textilien, Spezialpapier, Dämmstoffe oder auch Verbundwerksstoffe verwendet. Durch das Verbot findet diese Verwendung heutzutage nur noch in kleineren Umfang statt. Bis heute findet eine Verwendung in der Kosmetika sowie für Öle statt. Ich möchte also festgehalten, dass Hanf eine ebenso weitreichende Verwendung wie Alkohol findet kann, sofern dies durch den Gesetzgeber zugelassen wird: Erst durch die Illegalisierung von Hanf wurden ihm die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten genommen, erst dadurch steht die berauschende Wirkung des Cannabis aus der Hanfpflanze im Vordergrund der Pflanze. Auch zur unterschiedlichen Rechtspraxis der Bundesländer bei der Strafverfolgung von Cannabis-Konsumentinnen und -konsumenten äußerst sich die Bundesregierung nicht und verweist darauf, dass die Situation eventuell geprüft werden könne. Was sie damit genau meint, bleibt jedoch im Unklaren. Erst eine jüngste Ausarbeitung des Deutschen Hanfverbands weist auf diesen unhaltbaren Zustand hin. Auch die Verwendung von beschlagnahmten Cannabis zur medizinischen Verwendung, nach Prüfung der Wirksamkeit und Inhaltsstoffe, so wie es in Tschechien umgesetzt wird, wurde durch die Bundesregierung abgelehnt. Vielmehr müssen „diese, wie andere nicht verwertbare Sachen vernichtet werden“ so die Bundesregierung. Dass diese „nicht verwertbaren Sachen“ für schwer chronisch Kranke teilweise eine erhebliche Leidensminimierung bedeuten, scheint sie dabei wenig zu interessieren. Gegebenenfalls gesetzgeberische Schritte hat sie Bundesregierung beim Auftreten neuer psychoaktiver Substanzen angekündigt. Aber auch hier soll erst einmal weiter geprüft und beobachtet werden. Mittlerweile muss das BtMG im Durschnitt alle 73 Tage verändert werden, um auf den sich ständig wandelnden Drogenmarkt zu reagieren. In der Gesamtheit beweist die Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine zweite Nachfrage zum Thema Cannabis-Konsum auf ein Neues, dass sie keinerlei Interesse an einer liberalen Drogenpolitik besitzt. Obwohl immer mehr Studien feststellen, dass die Kriminalisierung der Konsumierenden keinerlei positive Auswirkungen auf die Bekämpfung des Drogenkonsums hat, wird weiter an dieser festgehalten.
Kleine Anfrage der LINKEN und Antwort der Bundesregierung zum Thema „Festschreiben der geringen Menge im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) für Cannabisbesitz“ (Nachfrage)
Rauschzeichen- Cannabis: Alles, was man wissen muss In diesem Buch gehe ich im Kapitel “Legalisierung?” u.a. genauer auf die Frage der Konsumreduktion durch das Cannabisverbot ein.
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