Anlässlich des 20. Aprils hat die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig alle Hoffnungen auf eine Entspannung in der Cannabis-Politik zunichte gemacht. In einem Interview mit dem Titel „Cannabis ist nicht okay, es schadet“ hat die Drogenbeauftragte im LTO-Magazin klar gestellt, dass sie Deutschlands Cannabis-Konsumenten enttäuschen müsse. „Kiffen aus Spaß an der Freud“ werde auch in Zukunft nicht legal.
Auch die beantragten Coffeeshop-Modellversuche einiger Länder und Gemeinden hält Ludwig, genau wie ihr Vorgesetzter Jens Spahn, für unnütz. Ihre Ablehnung begründet sie mit den Abgabemodellen in den Niederlanden und Portugal. In den Niederlanden gibt es allerdings trotz Ludwigs Kritik am Abgabemodell weniger junge Kiffer als in Deutschland.
In Portugal gibt es gar kein Abgabemodell. Zu Amtsantritt hatte Ludwig angekündigt, sich mit dem Modellprojekt portugiesischer Drogenpolitik zu beschäftigen. Portugal hatte seine Drogenpolitik 2002 wegen seiner Probleme mit Heroin und Kokain reformiert, Cannabis spielte damals so gut wie keine Rolle. Das Land hatte 2002 Konsum und Besitz Geringer Mengen harter Drogen entkriminalisiert, um die Zahl der Drogentoten zu senken. In diesem Zuge wurde auch für Cannabis eine Menge von bis zu 25 Gramm festgelegt, deren Besitz allerdings immer noch illegal ist. Mit Cannabis in Geringer Menge von der Polizei aufgegriffene Menschen werden an die Kommission zur Vermeidung des Drogengebrauchs übermittelt, wo sie mit Sozialarbeitern, Juristen und Medizinern zusammenkommen. Allerdings gibt es in Portugal weder Cannabis-Modellversuche noch irgendwelche Abgabestellen. Wer im Zusammenhang mit Portugal von Abgabestellen redet, kann mit den Details nicht sehr vertraut sein.
Nicht sehr detailversessen Ludwig behauptet, in Kanada existiere weiterhin ein großer Schwarzmarkt, auf dem viele Konsumenten kaufen. Wie viel das sind, lässt sie offen. Wir helfen gerne: 2019 hatten 40% der Kanadier*innen angegeben, seit der Legalisierung 2018 mindestens einmal auf dem Schwarzmarkt gekauft zu haben. Wie groß der Anteil des Cannabis vom Schwarzmarkt dadurch ist, ist jedoch reine Spekulation.
Ludwig verschweigt, dass ein Restschwarzmarkt vor allem wegen Zugeständnissen an Kanadas konservative Gemeinden fortbesteht. Kanadische Gemeinden können oft selbst entscheiden, ob sie Cannabis-Fachgeschäfte zulassen. Man stelle sich vor, was passiert, wenn Gemeinden in Deutschland, Österreich oder der Schweiz den Alkoholverkauf verbieten könnten, Stichwort Schwarzbrennerei. Nicht wenige, meist konservativ dominierte Landstriche in Kanada haben sich gegen Fachgeschäfte entschieden. Gras ist dort zwar legal, der Verkauf aber nicht. In Gemeinden, die sich gegen Fachgeschäfte entscheiden, ist der Schwarzmarkt die logische Folge engstirniger Lokalpolitik. Zudem gibt es in Kanada viel zu wenige Fachgeschäfte, um den Bedarf zu decken. So gab es in Ontario im März 2020 beispielsweise 30 Cannabis-Fachgeschäfte und 1000 Alkohol-Läden.
Der Schwarzmarkt in Kanada ist nicht Folge der Regulierung, sondern aufgrund der nicht flächendeckenden Versorgung des Landes mit Lizenzen entstanden. Das sollte Ludwig wissen. Die Drogenbeauftragte, die einst angekündigt hatte, sich die Modelle anderer Länder genauer anzuschauen, hat ihre Hausaufgaben im Fach Internationale Drogenpolitik, wenn überhaupt, nur sehr oberflächlich erledigt.
Die Angst vor kiffenden Kindern Ständig verweist Ludwig wieder auf den präventiven Charakter, den das Cannabisverbot besonders für Jugendliche habe. Doof nur, dass die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags im November eine Studie veröffentlicht hatten, die genau das Gegenteil belegt. Die Forscher schrieben,
“dass die Verfolgung einer strikten Drogenpolitik wenig bis keinen Einfluss auf das Konsumverhalten hat”.
Vielmehr
“wiesen einige der Länder mit den strengsten gesetzlichen Regelungen einige der höchsten Prävalenzraten* im Hinblick auf den Drogenkonsum auf, während Länder, die eine Liberalisierungspolitik verfolgen, einige der niedrigsten Prävalenzraten aufwiesen”.
Trotz dieses Winks mit dem Zaunpfahl aus dem eigenen Hause beharrt die Drogenbeauftragte in ihrem jüngsten Interview selbst bei Konsumdelikten auf dem Erfolg repressiver Maßnahmen. Anders als es aus ihrem Munde klingt, ist der Großteil der Kiffer in Deutschland erwachsen und konsumiert moderat. Millionen erwachsene Konsumenten fühlen sich angesichts der jahrelangen Ignoranz wie Kinder, die in der Schule beim Kiffen erwischt werden. Solange Frau Ludwig mit diesen Menschen keinen Kompromiss anstrebt, wird sie die anvisierte Zielgruppe auch bei den Jugendlichen nicht erreichen. Viele junge Menschen sind mittlerweile Kiffer der zweiten oder dritten Generation, die sich eher am eigenen Umfeld als an Ludwigs steilen Thesen orientieren. Wieso sollte ein 18-jähriger, dessen Eltern ab und an mal einen Joint rauchen, Frau Ludwigs cannabinoiden Horrorszenarien überhaupt glauben? Authentizität und Glaubwürdigkeit werden über den Erfolg ihrer präventiven Ambitionen entscheiden, egal ob in Flyerform oder als Youtube-Video.
Ludwig auf Youtube Weil Ludwig gemerkt hat, dass staatliche Cannabisprävention die eigentliche Zielgruppe mit ihrer bisherigen Strategie kaum erreicht, gibt es das bald auch auf Instagram und Youtube. Ob die fehlende Resonanz allerdings, wie sie selbst meint, an etwas altbackenen Werbetools wie Flyern liegt, sei dahin gestellt. Wahrscheinlich ist, dass sie eine Agentur beauftragen wird, die eine dieser realitätsfernen Anti-Drogen Kampagnen initiieren wird, von denen es auf Youtube bereits einige gibt. Die meisten dieser Videos erreichen die Zielgruppe dann wenigstens in Teilen, bis die Kommentarfunktion wegen massiver Kritik deaktiviert wird.
Das Gefühl der Hilflosigkeit wird sich für Cannabis-Konsumenten kaum ändern, solange die Drogenbeauftragte über ihre Köpfe hinweg entscheidet, anstatt eine gemeinsame Lösung anzustreben. Die Konsumenten fühlen sich bevormundet, weil ihre eigenen, positiven wie negativen Erfahrungen mit Cannabis mittlerweile von fast allen Bereichen der Wissenschaft bestätigt, von Ludwig und ihren Vorgängerinnen aber permanent ignoriert werden. Im aktuellen Interview hat sie die Antwort auf die Frage eines direkten Vergleichs zum Schadenspotential von Alkohol, Nikotin und Cannabis geradezu verdreht.
„Tabak und Alkohol sind gesundheitsschädlich und zu viel Konsum kann tödlich sein. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Die Gefährlichkeit von Alkohol und Tabak macht Cannabis aber nicht ungefährlich. 2010 waren 23.349 Patienten wegen Cannabis in stationärer bzw. ambulanter Behandlung, 2018 waren es 31.912 Personen. (…)“,
sagt Ludwig am 20.4.2020 gegenüber LTO.
Was fehlt hier?
Ein paar Zahlen zu den wesentlich schädlicheren, aber legalen Substanzen Alkohol und Nikotin. Wir liefern nach:
Alkoholtote 2018: ca. 77.000 Alkoholabhängige: ca. 1,77 Millionen; weitere 1,61 Millionen mit Alkoholmissbrauch Nikotintote 2018: ca. 110.000 Nikotinabhängige: ca. 12 Millionen
Wer angesichts dieser eklatanten Diskrepanz nicht einmal auf den Gedanken kommt, die verfehlte Politik der vergangenen 50 Jahre als Ursache in Erwägung zu ziehen, ist nichts anderes als eine Dogmatikerin. Ähnlich wie einst die politischen Betonköpfe in der DDR hat Frau Ludwig einen großen Fehler begangen: Sie hat den angekündigten Dialog zum dogmatischen Monolog verkommen lassen und wird es erst merken, wenn Gras in ferner Zukunft legal und sie nicht mehr am Zuge ist.
Sie vertieft die Gräben, die sie zu Amtsantritt zuschütten wollte – und Schuld sind wie immer die anderen. Erst wenn Frau Ludwig offen ausspricht, dass moderat kiffende Erwachsene bereits als systemrelevanter Teil unserer Gesellschaft funktionieren, werden ihr deren Töchter, Söhne und deren Freunde folgen.
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