Die Medical Marijuana Dispensaries
- Eric wrigth
- 29. Jan. 2012
- 6 Min. Lesezeit

Anfang November hatte ich das Vergnügen, 2 “Medical Marijuana Dispensaries” in Los Angeles zu besuchen. Ein Bericht über die Fast-Legalisierung in Kalifornien und medizinisches Cannabis in den USA.
Die Diskussion über die komplette Legalisierung von Cannabis in den USA hat einen Punkt erreicht, der vor 10 Jahren noch undenkbar war. Die Zustimmung, den Cannabismarkt zu besteuern und zu regulieren, ist in dieser Zeit stark angestiegen und hat zuletzt bei Umfragen mehrfach die 50 %-Marke überschritten. Eine Volksabstimmung über die Cannabislegalisierung ist im November 2010 in Kalifornien noch knapp gescheitert, aber im November diesen Jahres werden vermutlich weitere Abstimmungen auf die Wahlzettel kommen. Noch ist eine komplette Legalisierung in den USA nicht in Sicht, wie in Deutschland hinkt die Politik der Meinung der Bevölkerung in Sachen Cannabis hinterher.
Aber beim Thema “Cannabis als Medizin”, wo die Zustimmungsraten noch viel höher liegen, gibt es massive Fortschritte. Mittlerweile gibt es in den USA 16 Staaten, in denen die Nutzung von Marijuana als Medizin legal ist. Allerdings gelten in diesen Staaten sehr unterschiedliche Regelungen. In allen diesen Staaten gilt, dass Patienten, die eine Empfehlung ihres Arztes für die medizinische Anwendung von Marijuana haben, nicht strafrechtlich verfolgt werden. Bis auf Kalifornien schreiben die Staaten vor, dass medical marijuana nur bei ernsthaften Krankheiten wie AIDS, Krebs, Multiple Sclerose oder chronischen Schmerzen verordnet werden darf. Allerdings müssen die Krankenkassen die Kosten nicht bezahlen. In der Regel erhalten die Patienten eine ID-Card, um sich als Patienten auszuweisen. In fast allen diesen Staaten dürfen die Patienten selbst zu Hause ihr Marijuana anbauen oder durch dritte anbauen lassen. In acht dieser Staaten gibt es auch Regelungen zur Versorgung der Patienten durch staatlich regulierte Fachgeschäfte, die “dispensaries”. Zusätzlich dürfen die dispensaries in Kalifornien sogar ohne staatliche Lizenzen öffnen. Die US-Organisation MPP bietet einen detaillierten Überblick über die verschiedenen Regelungen.
All diese Staaten haben die Gemeinsamkeit, dass es jeweils tatsächlich um ganz normales Marijuana geht: Hanfblüten eben. Das ist viel preiswerter als Pharmaprodukte auf Cannabisbasis, die Betroffenen können ihre Medizin selbst herstellen und es erkennt die Tatsache an, dass es viele verschiedene Hanfsorten gibt, die mit ihrer jeweils individuellen Zusammensetzung an Cannabinoiden bei ganz unterschiedlichen Krankheiten helfen. Das ist besonders wichtig aus deutscher Sicht, wo sich die Bundesregierung seit vielen Jahren gegen die Verwendung einfacher Blüten wehrt und mit ihrer Mini-Reform im Jahr 2010 Fertigarzneimitteln den Vorzug gab. Schlecht für die Patienten, gut für die Pharma-Industrie.
Dass Kalifornien eine besondere Vorreiter-Rolle bei den Dispensaries spielt, ist auch in den deutschen Medien nicht unbemerkt geblieben. Wie gesagt, sind die Läden dort nicht staatlich lizensiert und die Ärzte können für alle möglichen Krankheiten Marijuana-Empfehlungen vergeben. Die Ärzte werben dort regelrecht für diese Dienstleistung, immerhin geht es um einen riesigen Markt. Es gibt in Kalifornien tausende solcher Gras-Shops für Patienten und laut der US-Organisation NORML gibt es in Kalifornien ca. eine Million (!) Menschen, die eine entsprechende Bescheinigung besitzen und legal dort einkaufen können. Vor Ort nannte mir ein Vertreter von NORML Kalifornien seine Schätzung, dass mittlerweile ein Drittel des gesamten Marijuana-Verbrauchs der Kalifornier legal über die Dispensaries abgewickelt wird. Damit ist dieser US-Staat schon ziemlich nah dran an einer kompletten Legalisierung von Cannabis. Das ruft allerdings auch Widerstände hervor. Die Obama-Administration, die durch ihre lockere Haltung gegenüber medical marijuana diese Entwicklung überhaupt erst möglich gemacht hat, versucht nun mit allen Mitteln gegenzusteuern. Aber dazu später mehr…
Über die Aufbruchstimmung, die ich auf der reform-conference, dem bisher weltweit größten prohibitionskritischen Kongress weltweit erleben durfte, habe ich ja bereits ausführlich berichtet. Im Rahmen dieser Konferenz habe ich an der Besichtigung von zwei Dispensaries teilgenommen und habe Fachgeschäfte gesehen, die nicht nur für Patienten eine sehr sinnvolle Alternative zum Schwarzmarkt wären.
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Die erste Besichtigung führte uns zum Wonderland Collective.

Vorbei am Wachmann gelangten wir in den Vorraum, wo sofort durch diverse Aushänge klargemacht wurde, dass es hier nur Gras für kalifornische Patienten mit einer ärztlichen Bescheinigung gibt.


Außerdem lagen im Vorraum Papiere für die Anmeldung aus, in denen alle Regeln der Dispensary erklärt wurden. Hier könnt ihr euch das Wonderland Patients Agreement ansehen: S.1, S.2, Anhang Enforcement. Mit den Unterlagen geht es dann zur Anmeldung:

Zumindest in dieser Dispensary werden die Regeln streng eingehalten. Eine Patientin aus Kalifornien hatte ihre Empfehlung vom Arzt dabei, aber diese war wohl zu alt oder irgendein Stempel fehlte und die Frau wurde nicht in den Club aufgenommen und konnte kein Marijuana kaufen. Allerdings lag auch Werbung von 3 Ärzten aus, die entsprechende Bescheinigungen ausstellen:




Im Inneren der Dispensary, die die Besichtigungsgruppe ausnahmsweise auch ohne Mitgliedschaft betreten konnte, durften wir leider keine Fotos machen. Aber es war ein tolles Erlebnis. Viele verschiedene Marijuana-Sorten standen dort in Einmachgläsern. Die Patienten durften an der Ware riechen und sowohl durch ausliegende Informationen als auch durch das freundliche und geduldige Personal wurde den Patienten erklärt, welche Sorte besonders gut gegen welche Beschwerden hilft. Der Laden machte außerdem einen sauberen und ordentlichen Eindruck.
Dann ging es weiter zur nächsten Dispensary. Wieder vorbei am Wachmann…

…im Vorraum ähnliche Formalitäten und Formulare für das normale Patientenpublikum wie in der ersten Dispensary. Interessant hier noch die Liste der Regeln, die die Mitglieder einhalten müssen: S.1, S.2.
Und wieder hinein in einen sauberen und aufgeräumten kleinen Laden für diverse Cannabisspezialitäten.
Info-Tafeln informierten über die vorrätigen Marijuana-Sorten…:


…und über einige Sorten Haschisch, sowie Hanfsamen und neue Marijuana-Sorten:

Und weil Rauchen nicht die gesündeste Art des Cannabiskonsums ist, gab es auch Riegel, Kekse und andere Süßigkeiten mit medizinischer Wirkung:


..und Vaporizer zum lungenfreundlichen Verdampfen:

Um das angebotene Marijuana genauer prüfen zu können, wurde eine große Lupe bereitgestellt:

Am Glastresen konnten wir die große Vielfalt der angebotenen Produkte bewundern:

Natürlich diverse Marijuana-Sorten:

Man beachte die Aufschrift: “außerhalb der Reichweite von Kindern lagern”:

…einige Haschsorten:

…Cannabis-Tropfen:

…Kapseln mit Cannabis-Öl:

Kapseln mit Haschisch:

Kapseln “Night & Day”:

…Shakes:

…fertige Joints (in den USA in der Regel tabakfrei):

…THC-haltige Salbe gegen Schmerzen:

…und Hanfsamen:

Außerdem wurden in einem kleinen Nebenraum auch einige Hanfpflanzen angebaut:

Was für ein gewaltiger Unterschied zu den hiesigen Schwarzmarkt-Verhältnissen!
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Aber wie gesagt, der amerikanischen Bundesregierung wird es zu bunt mit den Shops in Kalifornien, denn nach Bundesrecht ist jeder Verkauf von Cannabis illegal, auch wenn es in den jeweiligen Staaten zu medizinischen Zwecken erlaubt ist. Barak Obamas Justizbehörde hat zwar eine Weile nach seiner Amtsübernahme eine Weisung an die föderalen Staatsanwälte herausgegeben, dass Dispensaries, die sich an die jeweiligen Bundesgesetze halten, nicht behelligt werden sollen, aber nach dem Boom in Kalifornien gilt das scheinbar nicht mehr. Mit diversen Instrumenten wird versucht, die Dispensaries zurückzudrängen. Dabei geht es z.B. um Abstandsregelungen zu Schulen, mit denen auch in Holland versucht wird, die Zahl der Coffeeshops zu reduzieren. Dass es solche Abstandsregeln für Kneipen nicht gibt, zeigt einmal mehr die willkürliche Ungleichbehandlung. Auch steuerrechtliche Tricks werden angewandt, um die Dispensaries finanziell zu ruinieren. Teilweise scheint die Bundesregierung auch völlig willkürlich Dispensaries ins Visier zu nehmen. Im Herbst wurden viele Grundstücksbesitzer in Kalifornien, auf deren Eigentum sich eine Dispensary in der Nähe einer Schule befindet, aufgefordert, den Cannabis-Shops innerhalb von 45 Tagen zu kündigen, sonst könne das Grundstück konfisziert werden – und das, obwohl es eine solche Abstandsregelung in Kalifornien gar nicht gibt. Das hat zwar zu einem gewissen Rückgang der Zahl der Abgabestellen geführt, aber es gibt immer noch tausende. Und es gibt weitere Spitzfindigkeiten, mit denen die Obama-Administration versucht, gegen die Dispensaries vorzugehen. Damit verspielt Obama eine Menge Sympathien, die er durch seine anfänglich zurückhaltende Position erworben hatte.
Die Hanfszene rüstet sich zum Widerstand.
In Kalifornien läuft eine Gesetzesinitiative an, die den kalifornischen Weg rechtlich absichern soll.
Hier ein Flugblatt (S.1, S.2.+3, S.4), in dem zum Widerstand gegen das steuerrechtliche Vorgehen gegen die Dispensaries aufgerufen wird und das Vorgehen der Bundesregierung erklärt wird: Es gibt ein altes Gesetz aus der Zeit vor den durch die einzelnen Staaten legitimierten Cannabis-Dispensaries. Demnach darf, wer mit illegalen Drogen handelt, seine Ausgaben nicht als Betriebsausgaben absetzen. Eine Dispensary kann demnach die Ausgaben für Personal und Miete etc. nicht wie jedes andere Unternehmen von der Steuer absetzen und müsste demnach den gesamten Umsatz als Gewinn versteuern, was natürlich utopisch ist. Keine Dispensary wäre in der Lage, so hohe Steuern aufzubringen. Dabei zahlen die Dispensaries die normalen kommunalen und staatlichen Steuern wie jedes andere Unternehmen auch. Sollte es die Bundesregierung also schaffen, mit diesem Trick die Dispensaries zu schließen, würden nicht nur die Patienten wieder auf den Schwarzmarkt geschickt, sondern den klammen kalifornischen Staatskassen würde auch ein großer Batzen an Steuereinnahmen entgehen.
Damit rechnet aber niemand in Kalifornien. Alle gehen dort davon aus, dass das Rad der Zeit nicht zurückgedreht werden kann, dass der jetzt einmal erkämpfte Zustand nicht zurückgedreht werden kann. Ich hoffe, dass das stimmt. In der Schweiz, wo es vor 10 Jahren auch hunderte Shops gab, die offen und unbehelligt Marijuana in Duftsäckchen verkauft haben, wurden diese alle wieder geschlossen, nachdem klar war, dass es nicht wie erwartet zu einer Legalisierung dieser Shops kommen würde. Die Kalifornier reagierten auf diesen Einwand aber recht selbstbewusst: “Wir sind nicht die Schweiz, Kalifornien hat 80 Millionen Einwohner, die Schweiz 3 Millionen, das ist ein Unterschied.”
Und noch während die Verteidigungskämpfe für die Dispensaries laufen, rüstet sich die Szene in den USA für die nächsten Volksabstimmungen zur vollständigen Legalisierung von Marijuana.
umfangreiche TV-Dokumentation zu den medical marijuana dispensaries:
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