Am vergangenen Freitag hat der Verkehrsgerichtstag in Goslar eine Empfehlung zu Cannabis und Führerschein veröffentlicht. Der DHV war live vor Ort dabei. Hier ein Bericht über die Debatte und die möglichen Konsequenzen:
Der Deutsche Verkehrsgerichtstag (VGT)
Der VGT wird von einem eigens zu diesem Zweck gegründeten Verein organisiert, er “dient der Wissenschaft, Lehre und Forschung auf allen Gebieten des Verkehrsrechts und angrenzender Fachgebiete.” Die Beschlüsse des VGT bzw. seiner Arbeitskreise haben keinerlei rechtlich oder politisch bindenden Auswirkungen. Wegen der großen Bedeutung des Gremiums finden die Beschlüsse in der Politik dennoch häufig Gehör. Immerhin wurden laut Presseberichten in diesem Jahr über 2.000 Fachleute erwartet und beim Arbeitskreis “Cannabiskonsum und Fahreignung” waren schätzungsweise 300 Personen anwesend.
DHV @VGT
Schon im Vorfeld des VGT berichteten viele Medien und zitierten dabei auch den DHV:
Vor Beginn des Kongresses meldete sich auch der Deutsche Hanfverband zu Wort. Er finde es diskriminierend, dass Cannabis-Konsumenten anders als Alkohol-Konsumenten ihren Führerschein auch dann verlieren können, wenn sie nie berauscht Auto gefahren sind. – Spiegel online
Der deutsche Hanfverband sieht das anders: „Die aktuellen Regeln dienen nicht der Verkehrssicherheit, sondern als Ersatzstrafe für Cannabiskonsumenten“, kritisiert Geschäftsführer Georg Wurth. – Frankfurter Rundschau
Durch die von sens media ermöglichte Führerscheinkampagne waren wir optimal vorbereitet, so dass Kampagnen-Koordinatorin Mariana Pinzon Becht und ich vor Ort Argumente vorbringen und Info-Material der Kampagne an die Teilnehmer verteilen konnten. Eines meiner Statements haben wir als Facebook-Video mit leider mäßiger Tonqualität veröffentlicht.
Man hat uns jedenfalls angehört und mehrfach reden lassen. Wir hatten auch Stimmkarten und konnten jeweils über die folgenden Absätze der Empfehlung des Arbeitskreises mit abstimmen. Insofern ist der VGT tatsächlich ein offenes Forum, an dem sich alle Experten beteiligen können. Insgesamt waren aber eher ältere und konservative Fachleute vor Ort, die sich noch im Drogenkrieg befinden und noch nicht verstanden haben, dass Cannabis jetzt wie jedes andere Medikament eingesetzt wird und insofern auch verkehrsrechtlich genauso behandelt wird. Die meisten Wortmeldungen kamen dann auch von Polizisten, MPU-Psychologen etc, die sich vor allem darum Sorgen machen, dass Freizeitkiffer sich nun über die “Hintertür Medizin” legalisieren und dann auch noch unbehelligt fahren wollen. Vernünftigere Wortmeldungen kamen eher von Anwälten und den Vertretern des Verkehrsministeriums und der Bundesanstalt für Straßenwesen.
Die Empfehlung
Den Beschluss des Verkehrsgerichtstags zu Cannabiskonsum und Fahreignung dokumentiere ich hier vollständig mit entsprechenden Kommentaren:
Die Fahrerlaubnis-Verordnung bedarf im Hinblick auf Arznei- und berauschende Mittel einer Überarbeitung durch den Verordnungsgeber.
Diesem Absatz haben wir nicht zugestimmt. Wir sehen zwar großen Überarbeitungsbedarf der FEV im Hinblick auf Cannabis als Genussmittel, nicht aber als Arzneimittel. Die führerscheinrechtlichen Rahmenbedingungen sind für Patienten ok so, wie sie sind. Der Absatz zielt auf eine strengere Kontrolle und Überwachung der Cannabispatienten ab.
Der Arbeitskreis ist der Auffassung, dass der erstmalig im Straßenverkehr auffällig gewordene, gelegentliche Cannabiskonsument nicht ohne Weiteres als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen wird, sondern lediglich Zweifel an seiner Fahreignung auslöst, die er mittels einer MPU ausräumen kann.
Dieser Absatz würde eine minimale Verbesserung für Cannabiskonsumenten bedeuten. Zur Zeit wird ihnen häufig nach der ersten Auffälligkeit über 1 ng THC/ml Blutserum ohne weitere Prüfung der Führerschein entzogen. Jetzt müssten sie sich einer MPU unterziehen. Das ist ein Geschenk an die MPU-Industrie, teuer für die Betroffenen und weiterhin eine massive Ungleichbehandlung gegenüber Alkohol-Konsumenten. Auch das Wörtchen “erstmalig” halten wir für problematisch, denn 1ng kann noch lange nach dem letzten Konsum überschritten werden und in manchen Gegenden ist die Kontrolldichte so hoch, dass es nicht lange bei “erstmalig” bleibt. Deshalb haben wir auch diesen Absatz abgelehnt.
Der Arbeitskreis vertritt die Meinung, dass nicht bereits ab 1 ng/ml THC im Blutserum fehlendes Trennungsvermögen unterstellt werden darf. Er teilt die Feststellungen der Grenzwertkommission, wonach dies erst ab einem THC-Wert von 3 ng/ml Blutserum der Fall ist.
Dies ist der einzige Absatz der Beschlussempfehlung, dem wir zugestimmt haben. Wenn es um fehlendes Trennungsvermögen zwischen Konsum und Fahren geht, ist 3 ng immer noch ein sehr niedriger Wert, aber im Vergleich zu dem bisherigen 1 ng wäre das eine erhebliche Verbesserung. Die meisten Betroffenen, die am Abend vor der Fahrt konsumiert haben, sollten diesen Wert bei einer Kontrolle unterschreiten. Dieser Wert von 3 ng betrifft nicht die Frage, ob eine mögliche Rauschfahrt stattgefunden hat, sondern ist nur relevant für die Prüfung durch die Führerscheinstelle, ob jemand grundsätzlich geeignet ist, ein Fahrzeug zu führen. Dieser Faktor für sich allein genommen würde zu weniger Führerscheinentzügen führen. Allerdings gilt für die Frage aus dem vorherigen Absatz, ob jemand im Straßenverkehr “auffällig” geworden ist, nach wie vor der Grenzwert von 1 ng, da Toxikologen nicht vollständig ausschließen mögen, dass bei Restwerten zwischen 1-3 ng in Einzelfällen noch zu einer verkehrsrelevanten Wirkung kommen kann. Außerdem besagt der vorherige Absatz ja auch, dass Cannabiskonsumenten bei mehr als “einmaliger” Auffälligkeit über 1 ng dann doch als “ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen” werden können, womit der Absatz mit den 3 ng in Bezug auf das Trennungsvermögen gar nicht mehr zum Tragen kommt. Diese ganze Logik folgt einem Beschluss der Grenzwertkommission, die diesen Umgang mit 1 und 3 ng bereits früher vorgeschlagen hatte. Immerhin hat eine Diskussion darüber begonnen, dass Cannabiskonsumenten unter 3 ng nicht ernsthaft berauscht am Verkehr teilnehmen und die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich das früher oder später auch in den Regelungen wiederfindet.
Auch im Falle einer medizinischen Indikation, insbesondere für die Verordnung von Cannabis-Blüten, begründet eine Teilnahme am Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis Zweifel an der Fahreignung. Aus dem Gebot der Verkehrssicherheit heraus ist es deshalb erforderlich, dass dann auch vor dem Hintergrund der Grunderkrankung die Fahreignung zu prüfen ist.
Diesen Absatz haben wir abgelehnt, weil er eine Ungleichbehandlung von Cannabispatienten im Vergleich zu anderen BTM-Patienten (Ritalin, Opiate, Benzos…) darstellt. In all diesen Fällen gilt grundsätzlich, dass die Betroffenen erst nach einer sorgfältigen Eingewöhnungsphase in Absprache mit dem Arzt und in eigenverantwortlicher Überprüfung des eigenen Zustandes vor Fahrtantritt fahren dürfen. Es bedarf hier keiner besondere Extrawurst-Prüfung für Cannabispatienten. In der Praxis geht es hier sowieso nicht um alle Cannabispatienten, da die Führerscheinstellen gar keine grundsätzlichen Kenntnisse über die Medikation der Bürger haben, es gibt keine Meldepflicht der Ärzte. Im Wesentlichen geht es also um Cannabispatienten, die bei Verkehrskontrollen auffallen. Obige Formulierung würde Polizisten aber motivieren, jeden Cannabispatienten an die Führerscheinstellen zu melden, um die entsprechende Überprüfung anzustoßen. Das bedeutet mindestens erheblichen Aufwand für alle Beteiligten. Derzeit können Polizisten Cannabis-Patienten auch einfach weiterfahren lassen.
Auch in diesem Sinne müssen die Patienten, die ein Kraftfahrzeug führen wollen, durch entsprechend qualifizierte Ärzte umfassend über ihre Beeinträchtigung der Fahreignung und Fahrsicherheit informiert und begleitet werden. Dies ist entsprechend zu dokumentieren.
Auch diesen Absatz haben wir abgelehnt. Es ist zwar eine Selbstverständlichkeit, dass Ärzte, die BTM verschreiben, ihre Patienten über die Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit aufklären und beraten. Aber die Formulierung “entsprechend qualifizierte Ärzte” ist unklar und könnte noch mehr Ärzte abschrecken, überhaupt Cannabis zu verschreiben, weil sie sich fragen, ob sie nun irgendeine spezielle Schulung zur Verkehrssicherheit machen müssen. Auch hier wird eine Cannabis-Sonderregelung gefordert, die es so für andere BTM nicht gibt.
Der Gesetzgeber wird gebeten, für Kontrollen im Straßenverkehr ein geeignetes Nachweisdokument vorzusehen.
Es gibt bereits diverse Vorlagen für solche Cannabispatienten-Ausweise, die die Ärzte ausfüllen und unterschreiben können. Zum Beispiel werden diese Vorlagen von der ACM und der Firma “HAPA medical” angeboten. Solche Ausweise können den Patienten das Leben bei Kontrollen durchaus erleichtern. Wir haben uns der Forderung nach einem gesetzlich vorgeschriebenen Cannabisausweis bisher nicht angeschlossen, weil auch das ein “Lex Cannabis” wäre. Für andere BTM-Patienten gibt es auch keine verbindlichen Nachweisdokumente, sondern nur freiwillig zu nutzende Vorlagen. Deshalb haben wir auch diesen Absatz abgelehnt. Eine Umsetzung würde aber nicht nur den “Papierkramstress” der Patienten erhöhen, sie hätte durchaus auch praktische Vorteile für Patienten bei Kontrollen. Von daher ist diese Empfehlung kein großes Problem.
Fazit
Der Verkehrsgerichtstag hat extrem zaghafte, minimale Verbesserungen für Cannabiskonsumenten empfohlen und zumindest eine sehr zaghafte Einführung eines 3-ng-Grenzewertes für bestimmte Fragestellungen empfohlen. Für Patienten wünscht sich der Arbeitskreis dagegen eher mehr Kontrolle und Überwachung. Ob diese Empfehlungen zu tatsächlichen Änderungen der Regelungen führen werden, bleibt abzuwarten.
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