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AutorenbildEric wrigth

Bei der Mehrheit der Gesellschaft angekommen – Cannabiskonsum der Berliner Bevölkerung

Die Berliner Senatsgesundheitsverwaltung hat neue Zahlen zum Cannabiskonsum der Bevölkerung in der Hauptstadt veröffentlicht. Erstmals seit Beginn der Datenerhebung gab eine Mehrzahl der Befragten im Alter von 15 bis 64 Jahren an, Cannabis zu konsumieren. Die meisten Konsumenten nutzen Cannabis nur unregelmäßig. Was bedeutet dies für die aktuelle Debatte?

Grundlage der Erhebung waren die Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys (ESA) von 2021, ergänzt durch eine Aufstockungsstichprobe im Auftrag der Senatsverwaltung Berlin. Es wurden für die Berliner Erhebung insgesamt 2.065 Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren telefonisch, online oder postalisch befragt.

Erhoben wurden Daten zum Konsum, dessen Häufigkeit (Lebenszeitprävalenz, 30-Tages-Prävalenz und Häufigkeit in den letzten 12 Monaten) und zu den konsumierten Produkten (Haschisch, Blüten, Öl, Edibles). Zudem wurden den Teilnehmern fünf Fragen zur Einschätzung von problematischen Konsummustern (Severity of Dependence Scale) gestellt und weiterhin nach dem Einfluss der Corona-Pandemie auf den eigenen Konsum gefragt. Für die Veröffentlichung wurde die Erhebung durch Daten der Krankenhausdiagnosestatistik und Deutschen Suchthilfestatistik ergänzt.

Ergebnisse des Surveys 2021

54% der Berliner und Berlinerinnen gaben laut Survey an, Cannabis mindestens einmal konsumiert zu haben. 46% davon konsumierten unregelmäßig (weniger als einmal im Monat) und 8% der Befragten konsumierten regelmäßig (mehr als einmal im Monat). Bei den regelmäßigen Konsumenten gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern (Männer 10%, Frauen 5%). Auch im Hinblick auf das Alter lassen sich Differenzen feststellen: Die meisten Nutzer finden sich zwischen 18 und 59 Jahren (Spitzenreiter 25 – 39 Jahre). In den beiden Randgruppen 15 – 17 und 60+ Jahre ist der Konsum weniger verbreitet.

Auch hinsichtlich des sozialen Status lassen sich Unterschiede feststellen. Generell scheint es, dass im niedrigsten sozialen Milieu sowohl der höchste Anteil der Nicht-Konsumenten als auch der regelmäßigen Konsumenten vertreten ist. Mit höherem sozialen Status sinken beide Gruppen und die gelegentlichen Nutzer gewinnen an Bedeutung.

Für den Zeitraum seit 1995 lässt sich ein eindeutiger Trend feststellen: Der Anteil der Nicht-Konsumenten hat deutlich abgenommen und der Anteil der Gelegenheitskonsumenten hat deutlich zugenommen. Die Gruppe der regelmäßigen Nutzer hat leicht zugelegt, scheint aber im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen relativ stabil zu sein.

Im Hinblick auf die genutzten Produkte ergibt sich eine eindeutige Präferenz der Berliner Bevölkerung für Cannabisblüten, gefolgt von Haschisch. Weniger als 20% gaben an, Edibles zu nutzen und weniger als 10% nutzten Extrakte wie Cannabisöl. Allerdings sind die beiden letzten Zahlen aufgrund der geringen Fallzahlen (<30) mit einer hohen Unsicherheit verbunden.

Die Mehrzahl der Berliner und Berlinerinnen (69%) gaben an, dass die Corona-Pandemie keinen Einfluss auf ihr Konsumverhalten hatte. Bei 15% hat der Konsum zugenommen und 16% gaben an, dass sie ihren Konsum reduziert haben.

Bei stationären Behandlungsfällen aufgrund psychischer Verhaltensstörungen durch Cannabinoide ist seit 2010 ein deutlicher Unterschied zwischen Männern und Frauen zu beobachten. Während die Anzahl der Behandlungsfälle bei Frauen leicht um 10 pro 100.000 schwankt und aktuell bei 11,9 pro 100.000 liegt, ist bei den Männern ein eindeutiger Anstieg zu beobachten, der seit 2019 wieder rückläufig ist. Aktuell liegt er bei 45 Fällen je 100.000 Einwohner. Setzt man diese Entwicklung in Zusammenhang mit der Entwicklung der Konsumentenzahlen seit 2010, so fällt auf, dass die Zahl der Behandlungsfälle nicht im gleichen Maß zugenommen hat. Eine schlüssige Erklärung dafür könnte sein, dass hauptsächlich die Anzahl der Gelegenheitskonsumenten zugenommen hat und bei diesen psychische Probleme in Zusammenhang mit normalem Cannabiskonsum weniger wahrscheinlich sind. Dass es trotzdem einen gewissen Anstieg gab, könnte mit der der seit 2010 zunehmenden Verbreitung von synthetischen Cannabinoiden in Deutschland zu tun haben, da diese auch bei gelegentlichem Konsum zu psychischen Problemen führen können.

Ein problematischer Konsum konnte in der Altersgruppe zwischen 15 und 64 Jahren bei 7% der Männer und 2% der Frauen festgestellt werden. Dies dürfte auch die Diskrepanz bei den stationären Behandlungsfällen zwischen Männern und Frauen erklären. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung entspricht dies etwa 100.000 Personen, die einen problematischen Konsum aufweisen. Zum Vergleich weisen ca. 450.000 Einwohner Berlins einen riskanten Alkoholkonsum auf. Die Senatsverwaltung Gesundheit stellt daher fest, dass “die gesamtgesellschaftlichen Folgen des Cannabiskonsums beispielsweise in Bezug auf Arbeitsausfälle und Kosten im Gesundheitssystem […] erheblich [sind], wenn auch deutlich geringer als beim Alkohol- und Tabakkonsum”.

Schlussfolgerungen für die aktuelle Debatte

Die Zahlen aus Berlin klingen zunächst spektakulär, verdeutlichen sie doch, dass in der Hauptstadt Cannabis in der Mehrheit der Gesellschaft angekommen ist. Natürlich sind die Berliner Konsumentenzahlen nicht auf ganz Deutschland übertragbar, aber zumindest in anderen Metropolregionen dürfte die Verbreitung von Cannabis ähnlich hoch sein. Weiterhin wichtig für die derzeitige Legalisierungsdebatte ist die Tatsache, dass ein Großteil der Konsumenten erwachsene Gelegenheitskonsumenten sind, die keinerlei Probleme mit ihrem Cannabiskonsum haben. Diesen wird jedoch im aktuellen Gesetzesvorhaben zu Säule 1 kein Angebot gemacht!

Menschen, die weniger als einmal im Monat Cannabis konsumieren, werden weder in einen Klub mit monatlicher Abgabemenge eintreten, noch anfangen sich für viel Geld Grow-Equipment zu kaufen. Sie verfügen in den Metropolregionen auch meist nicht über einen eigenen Garten, um sich eine Pflanze ohne viel Aufwand zu ziehen. Wenn wir diese Mehrzahl der Konsumenten nicht bis zur Umsetzung von Modellprojekten weiterhin auf den Schwarzmarkt schicken wollen, dann muss sich der Gesetzgeber einfallen lassen, wie diese Menschen legal mitversorgt werden können.

Ein wichtiger Ansatz könnte hier “social supply” sein. Die nicht-kommerzielle Weitergabe von Cannabis aus Eigenanbau bzw. durch Mitglieder der Anbauclubs scheint die sinnvollste und unkomplizierteste Lösung zu sein. Jedoch muss es dafür auch eine eindeutige gesetzliche Grundlage geben, damit dies rechtssicher möglich ist und eine klare Abgrenzung zum Schwarzmarkt gegeben ist.

Ähnliches gilt auch für Produkte wie Extrakte und Edibles, die bereits jetzt nachgefragt und genutzt werden. Auch hier gilt: Wenn die Politik keine legalen Angebote macht, wird der Schwarzmarkt diese Produkte weiterhin liefern. Doch gerade die Anbauvereinigungen wären in der Lage, diese Produkte als regulierte und kontrollierte Waren sicher herzustellen und unter Einhaltung des Jugendschutzes auch abzugeben.

Wenn es die Politik also wirklich ernst meint mit ihrem Vorhaben, den Schwarzmarkt auszutrocknen, dann muss sie für die Übergangsphase bis zur Umsetzung der Modellprojekte auch am Gesetz zu Säule 1 noch deutlich nachschärfen.

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