Mexiko treibt den Krieg gegen Drogen konsequent mit zehntausenden Soldaten auf die Spitze – und landet im völligen Chaos. Auch deutsche Medien denken um.
Mexiko treibt den Krieg gegen Drogen konsequent mit zehntausenden Soldaten auf die Spitze – und landet im völligen Chaos. Auch deutsche Medien denken um.
Die britische Stiftung “Transform” setzt sich für ein Ende der Drogenprohibition ein, ebenso wie der DHV bei Cannabis. Der Gründer und Sprecher von Transform, Danny Kushlick, ist sicher, dass die Welt ohne Drogenverbote in Sicht sei.
In den nächsten zehn Jahren werde es wahrscheinlich noch keine umwälzenden Veränderungen geben, aber viel länger werde sich die Prohibition wohl nicht halten können, da sie einfach zu kontraproduktiv sei. 2020 sei also ein gutes Jahr, um am Horizont nach signifikanten weltweiten Veränderungen in der Drogenpolitik Ausschau zu halten.
Aktuell sieht er drei wichtige Faktoren, die diese Entwicklung unterstützen. Der erste sei der Obama-Effekt, durch den deutlich zurückhaltendere drogenpolitische Signale von den USA ausgingen als von der Bush-Administration. Der zweite Faktor sei die Rezession, durch die sehr teure und kontraproduktive Kriege (wie der Krieg gegen Drogen) einen schlechten Eindruck in der Bilanz machten. Und der dritte Faktor sei die Eskalation der Gewalt in Mexiko, die sich auch auf die USA ausdehne. Es sei für die US-Amerikaner ein großer Unterschied zu weit entfernten Kriegen, wenn Enthauptungen in Grenznähe normal seien und wenn dort Köpfe über die Tanzflächen von Discos rollten.
Was nach Übertreibung klingt, ist tatsächlich Realität in Mexiko. Die Drogenkartelle überbieten sich gegenseitig darin, ihre Gegner auf möglichst spektakuläre, ekelhafte Weise umzubringen. Sie entfernen den Opfern die Gesichter und nähen sie an Fußbälle, Leichen werden ständig zerstückelt aufgefunden, mehrere hundert Menschen wurden in Säure aufgelöst.
7724 Morde gab es 2009 laut der Zeitung El Universal in Mexiko. Es sind Drogenkriegstote, sie wurden im Kampf der Drogenkartelle untereinander und gegen die Regierung ermordet.
Seit dem Amtsantritt von Präsident Felipe Calderón 2006 hat die Schlacht um Kokain, Marihuana, Heroin und Pillen bereits 17.000 Leben gekostet, mehr als die Kriege in Irak und Afghanistan,
schreibt die Süddeutsche am 15.02.2010. Calderón nahm den Krieg gegen Drogen ernst und trieb ihn auf die Spitze. Als ihm klar wurde, dass die Polizei das Problem nicht würde lösen können, zumal sie massenhaft und bis in hohe Ämter hinein von den Drogenkartellen gekauft war, schickte er 45.000 Soldaten in die Städte, um die Kartelle zu bekämpfen. Seitdem sind die Mordraten beängstigend angestiegen und Human Rights Watch prangert Menschenrechtsverletzungen durch die Soldaten im eigenen Land an. Mehr Repression geht nun wirklich nicht. Und deutlicher könnte ihr Scheitern nicht sein. Es ist Zeit, sich neue Wege zu überlegen.
So sieht das wohl auch die Süddeutsche, die in ihrem oben genannten Artikel zwar nur neutral die Vorgänge beschreibt, aber die Überschrift “Drogenkrieg in Mexiko Die verlorene Schlacht” wählt.
Deutlicher wird der Spiegel am 07.02.10 mit seinem Artikel “Lateinamerika – Sterbende Generation”:
Ein Massaker und Dutzende Tote an einem einzigen Wochenende – den Drogenkrieg in Mexiko droht der Staat zu verlieren. Überall auf dem Kontinent ist die Rauschgiftmafia auf dem Vormarsch. Jetzt fordern Politiker die Freigabe von Drogen und damit eine politische Wende. (…) Deshalb haben drei angesehene Ex-Präsidenten den von Washington unterstützten Drogenkrieg für gescheitert erklärt. Der Brasilianer Fernando Henrique Cardoso, der Mexikaner Ernesto Zedillo und der Kolumbianer César Gaviria plädieren dafür, Rauschgift kontrolliert freizugeben.” Eine ganze Generation junger Lateinamerikaner stirbt auf den Killing Fields des Drogenkriegs. Viele sind noch halbe Kinder, die meisten arm und dunkelhäutig. Wer überlebt, endet in der Regel in überfüllten Gefängnissen – und die werden ebenfalls von der Drogenmafia kontrolliert. “Das sind Schulen des Verbrechens”, warnt Rubem César Fernandes, Leiter der angesehenen Hilfsorganisation Viva Rio in Brasilien: “Mit Repression ist der Kampf gegen die Drogen nicht mehr zu gewinnen.” (…) Eine solche Liberalisierung wird bereits jenseits des Atlantiks in Tschechien, den Niederlanden und Portugal vorangetrieben, in dem iberischen Land hat der Rauschgiftkonsum trotzdem nicht zugenommen. (…) In Mexiko hob der Kongress im vergangenen Jahr ein Gesetz auf, das bislang den Besitz auch kleiner Mengen Rauschgift unter Strafe stellte. Ebenso machte in Argentinien der Oberste Gerichtshof den Weg für die Entkriminalisierung des Drogenkonsums frei. In Brasilien, wo der Besitz von Rauschgift für den Eigenbedarf erlaubt ist, hat Viva Rio zusammen mit dem Ex-Präsidenten Henrique Cardoso eine parteienübergreifende Allianz für eine Gesetzesinitiative zusammengetrommelt: Sie will die erlaubte Menge an Rauschgift definieren. Bislang entscheidet die Polizei, ob ein Festgenommener nur Konsument oder schon Drogenhändler ist. “Hellhäutige Brasilianer der Mittelschicht werden gegen ein Schmiergeld laufen gelassen, Schwarze aus den Favelas dagegen gelten als Dealer und landen im Gefängnis”, klagt der Universitätsprofessor Jorge da Silva. Er war früher Hauptmann der Militärpolizei und Sicherheitsminister des Bundesstaates Rio de Janeiro. Da Silva kämpfte in den Slums von Rio gegen Drogengangster. “Ich war auf Repression gedrillt”, sagt er. Heute tritt er dafür ein, die Produktion und den Verkauf von Rauschgift staatlich zu kontrollieren: “So wie es die USA mit dem Alkohol machten, nachdem in den dreißiger Jahren die Prohibition gescheitert war.” Der Staat könne doch auch auf Drogen Steuern erheben, meint da Silva. “So entziehen wir der Mafia die Existenzgrundlage.” Kokain in staatlichen Läden? Noch traut sich kaum ein lateinamerikanischer Politiker mit solchen Ideen an die Öffentlichkeit. Aber Experten sind sich darüber im Klaren, dass auch der Handel mit Drogen irgendwann liberalisiert werden muss, wenn denn der Konsum freigegeben wird.
So deutlich liest man das nicht oft in deutschen Medien. Den Schluss, dass die Drogenprohibition nicht funktioniert, macht dagegen auch die deutsche Presse immer öfter. Die Zeit rückt also näher, in der wir uns mit konkreten Alternativen beschäftigen müssen. Die britische Organisation Transform hat das erkannt und deshalb vor kurzem ihr Werk “After the War on Drugs: Blueprint for Regulation” vorgestellt. Ein Buch mit über 200 Seiten an Vorschlägen und Hinweisen für das anstehende post-prohibitive Zeitalter.
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